Die moderne Psychotherapie profitiert immer wieder von den aktuellen Forschungsergebnissen rund um Methoden, Techniken und Therapieverfahren, wie sie in der Wissenschaft erarbeitet werden. Diese bestimmen zu Teilen auch die ganz persönliche Psychotherapie. Als Psychotherapeut ist es mir dazu ein Anliegen, die individuellen Behandlungen nach dem neusten Stand dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse zu planen.
Ausgewählte wissenschaftliche Publikationen, spezifische Literatur oder bestimmte therapeutische Themen möchte ich gerne mit Ihnen teilen. Dazu möchte ich auf dieser Seite Themen vorstellen, die für Sie vielleicht von Interesse sein könnten. In überschaubaren Artikeln werde ich über Sichtweisen der Psychotherapie hinsichtlich der Hypothesen über die Entstehung und aufrechterhaltenden Faktoren von Erkrankungen, psychosozialen Zusammenhängen und Perspektiven sowie über verschiedenartige Behandlungsansätze und Möglichkeiten informieren.
Sollte der jeweils aktuelle Artikel nicht Ihr Interesse treffen, können Sie im Archiv auf frühere Themen zurückgreifen.
Wann spricht man also von Sucht und wo liegen die Grenzen für einen pathologischen Gebrauch unserer heutigen medialen Möglichkeiten? Wer ist am ehesten gefährdet, was sind Risikofaktoren abhängig zu werden und was kann man tun, wenn man das Gefühl hat, die Medien über ein „normales“ Maß zu gebrauchen? Fragen, die ich in diesem Kurzartikel zu beantworten versuche. Da das Thema jedoch recht umfangreich ist, möchte ich hier zunächst nur die allgemeinen Aspekte erläutern. In einem zweiten Artikel möchte ich dann die persönlichen Aspekte beschreiben und erläutern (voraussichtlich Ende 2018). Im Einzelfall empfehle ich die persönliche Vorstellung bei einem Psychotherapeuten oder Arzt mit entsprechendem Schwerpunkt um eine diagnostische Abklärung vom Fachmann durchführen zu lassen.
Zunächst soll uns die Unterscheidung zwischen dem übermäßigen oder missbräuchlichen Konsum und somit einer „allgemeinen“ Abhängigkeit und der „spezifischen“ Abhängigkeit im Kontext Medien interessieren. Da wir das moderne Leben überwiegend online organisieren und unsere wichtigsten Lebensbereiche, wie Kommunikation, die Interaktion mit anderen und unser soziales Leben sowie Berufs- und Liebesleben im Internet suchen, finden, bewerten und veröffentlichen, ist es nicht verwunderlich, dass wir uns alle tagtäglich mehrere Stunden im Internet aufhalten und unseren Kopf damit beschäftigen. Erst jedoch, wenn noch körperliche Symptome, wie Schlafstörungen, Flüssigkeits- und Bewegungsmangel aber auch eingeschränkte Leistungsfähigkeit und andauernde gedankliche Beschäftigung mit dem Internet dazu kommen, lässt sich mit großer Sicherheit von einem Missbrauch der Medien oder einer Abhängigkeit sprechen. In einigen Fällen zeigen sich auch die Verhaltenssüchte, wie bspw. Glücksspielsucht, Shoppingsucht oder Workaholism in einer Online-Form wieder. Und auch wenn diese Bereiche recht spezifisch wirken, werden sie aktuell noch näher an die stoffgebunden Süchte und Abhängigkeiten kategorisiert, als man die speziellen Abhängigkeitsformen von Medien und Online-Welten einordnet.
In der Literatur spricht man von spezifischer Medienabhängigkeit, wenn es speziell um die Online-Spielesucht, die Abhängigkeit von sozialen Netzwerken oder Cybersexsucht geht. Aktuell richtet sich das wissenschaftliche sowie das therapeutische Interesse besonders diesen drei Bereichen, da in vielen Praxen Menschen auftauchen, die Probleme aus einer der drei Kategorien beschreiben. Die Diagnostiker und Therapeuten finden in den meisten Fällen auch komorbide Störungen, wie Depression oder Angststörungen. Gemeinsam allen Beschreibungen ist, dass sich die Wünsche, Bedürfnisse und Ziele eines Menschen scheinbar online besser umsetzen lassen, als im sogenannten Reallife, also der Wirklichkeit. Zumindest scheint es den Betroffenen so und deshalb bleiben sie vermutlich in ihrem Verhalten verhaftet, können sich nicht lösen und vernachlässigen zunehmend Freundschaften und Familie, gehen nicht mehr zur Arbeit und leiden unter den zunehmenden körperlichen Folgeerscheinungen. Es lohnt sich also, sich diese drei spezifischen Medienabhängigkeitsformen einmal genauer anzusehen.
Bevor wir dort näher einsteigen, schauen wir uns jedoch noch ein paar allgemeine Rahmenbedingungen an, die man als abhängigkeitsfördernde Faktoren oft bei Betroffen finden kann.
Hardware, die nicht online ist, kann nicht süchtig machen. In diesem einfachen Satz stecken schon viele Wahrheiten, die es dem Medienabhängigen heute schwer machen, vom „Stoff“ wegzukommen. Unsere allgegenwärtige online-Vernetzung hat ein unvorstellbares Ausmaß angenommen und es ist kaum ein Ort oder Raum zu finden, in dem es nicht die Möglichkeit gibt, sich ins Netz einzuloggen. Dazu kommt noch, dass nahezu all unsere Geräte Möglichkeiten bieten, sich online mit der Welt zu verbinden. Damit haben wir Zugang zu einem unerschöpflichen digitalen Raum für Austausch und Abenteuer. Die virtuelle Verknüpfung mit anderen Menschen halten wir so bspw. bei öffentlichen Ereignissen für ein besonders intensives Erleben, allerdings ohne wirklich aus dem Haus zu müssen. Die Vorstellung, zu wissen, wie es Anderen an anderen Orten zur gleichen Zeit geht, stärkt die Intensität des Erlebens nochmals. Eine Fußball-WM erleben wir dank der Medien und der angestoßenen Interaktion als besonders verbindend. Es fühlt sich an, als wären wir mit Vorort.
Widmen wir uns aber nun den Online-Spielen. Wie funktioniert die Anziehung der virtuellen Abenteuerwelt auf uns? Welche Faktoren fördern neben der gesellschaftlichen Omnipräsenz die Abhängigkeit?
Oftmals wünschen wir uns nichts mehr im Leben, als aktiv unseren Alltag zu gestalten, Einfluss zu nehmen und Bestimmen zu können, was die Menschen um uns herum machen sollen. Im Computerspiel wird dieser Faktor am deutlichsten umgesetzt: Wir gestalten die Handlungen aktiv mit und schaffen so die Grundlage für eine besonders enge Identifikation mit dem Spiel und seinen Charakteren. In fast allen Spielen lässt sich der eigene Spielecharakter bis ins Detail optisch gestalten. Der Spieler kann also in eine völlig neue und selbstkreierte Gestalt schlüpfen, kann sich seine Eigenschaften und das Aussehen bestimmen und so eigene, wirkliche vermeintliche Schwächen ausbügeln. Die Möglichkeit, jemand anders zu sein, besser zu sein, als man sich selbst sieht, die Welt aktiv zu gestalten und damit eine recht enge Identifikation mit der virtuellen Welt zu schaffen, ist eine wesentliche Funktion, die den Abhängigkeitsfaktor ausmachen kann.
Der nächste Schritt ist nun, mit dem Identifikationsgefühl online auf andere Menschen und ihre erschaffenen Rollen zu treffen. Während wir früher unsere Beziehungen mit intensiven Gesprächen über Stunden am Telefon oder im direkten Kontakt gestalteten, erscheint dieser neue digitale Austausch mehr Vorteile zu versprechen. Wir wissen, der andere spielt auch nur eine Rolle und so schleicht sich eine grundlegende Unverbindlichkeit in die Online-Kontakte ein. Über die erschaffene Spielfigur können wir viel mehr Anteile unseres Selbst ausleben, die wir in verbindlicheren „echten“ Kontakten aus oft guten Gründen reduzieren oder so gar nicht zeigen würden. Der interpersonelle Faktor und den darin liegenden Möglichkeiten des Austausches unter dem Deckmantel des Spiels hat ebenfalls einen hohen Abhängigkeitswert.
Und dann tauchen wir in die Spielewelt ein. Diese bieten oft abenteuerliche, archaische und von der Realität weit entfernte bunte, irrationale und verrückte Welten an, in denen alles möglich sein kann. Dort werden wir über Aufgaben und Quests schnell zum Helden, zum Retter, oftmals als Gottheit gefeiert. Das dies eventuell Selbstwertprobleme desjenigen vor dem PC kompensieren kann, scheint auf der Hand zu liegen und sollte bei der ernsthaften Abwägung, ob es sich um Suchtverhalten handelt fachlich nicht unterschätzt und als Küchenpsychologie abgetan werden.
Quest gelöst, Belohnung eingestrichen und als Held gefeiert worden. Die Neurobiologen erforschen schon seit langer Zeit die Macht unseres Belohnungssystems im Gehirn. Die Spielewelten bieten den Forschern neue Spielplätze, um ihre Theorien zu überprüfen und weiter zu entwickeln. Immerhin arbeitet fast jedes Spiel mit Belohnungen für die verschiedensten Aktionen des Spielers. Dabei wird nicht nur direkt belohnt, bspw. bekommt man Gold für das Lösen einer Aufgabe, auch die Spielzeit und Anwesenheit des Spielers oder sogar der Austausch mit anderen wird belohnt. So fördern diese Systeme die Ausdehnung der Spielzeit, des Online-Seins über das biologisch verankerte Belohnungsmuster in unseren Gehirnen.
Kommt man als Einzelkämpfer nun an seine Grenzen, warten Gilden, Gruppen, Clans und andere Strukturen auf den Spieler, in denen er sich aktiv mit anderen austauschen und gemeinsam in der Spielewelt unterwegs sein kann. Auch dies bietet genügend Abhängigkeitspotenzial. Die technischen Möglichkeiten der Kommunikation sind vielfältig und kinderleicht. Im Nu finden soziale Prozesse statt, die der Spieler völlig realitätsfern selbst gestalten kann. Die selbstgewählte Rolle und Position innerhalb der Gruppe lässt sich leichter als im realen Leben einnehmen, so dass die Person in ihren selbstbestimmten Funktionen aufgehen kann. So brauchen die meisten Spielegruppen sog. Heiler, Damage Dealer, Assassine etc., mit deren Zusammenspiel erst die Gruppe funktionieren kann und die anstehenden Aufgaben bewältigt werden können. Vergleichsweise Strukturen in der familiären oder beruflichen Biografie können dem Therapeuten oft helfen, die Anziehung für den Einzelnen besser zu verstehen. Reale intrapsychische Konflikte können in der Spielewelt gelöst und kompensiert werden, die ggfs. eine Psychotherapie rechtfertigen würden. Mit den Mitspielergruppen kommen jedoch auch Verbindlichkeiten hinzu. Man wird nicht nur wichtig für die Gruppe, was den Selbstwert erhöht, man muss auch zeitlich immer mehr Verfügbarkeit bieten, um der Gruppe weiter angehören zu können. Die pseudo-Verbindlichkeit wird zu einem lebensbestimmenden Faktor, der Druck, mit der Gruppe mithalten zu wollen steigt und treibt viele dauerhaft vor den Rechner. Wer kann sich schon dem Gruppenzwang erfolgreich widersetzen?
Anhand der Online-Spiele (kaum ein Spiel kommt heute ohne Online-Funktion aus, wenn es am Markt mithalten möchte) lässt sich über die Medienwirkungsforschung die wichtigsten Faktoren zum Ausbilden einer Medienabhängigkeit abbilden. Die Spieleindustrie bedient sich dieser Mechanismen recht bewusst. So braucht man heute die oft zitierte Unterscheidung der Genres Strategie, Shooter, Sport- oder Casualspiele nicht mehr wirklich treffen. Das Belohnungssystem, das soziale Mitteilen seiner Erfolge oder das Zusammenschließen findet sich in fast allen Games wieder und ist auch unabhängig davon, ob am PC, der Konsole oder dem Handy gespielt wird ein oft genutzter Bestandteil.
Hierin lässt sich auch ein vllt. gefährlicher Trend ablesen, in dem die Spielewelt mit dem Bereich der Socialmedia zusammenrückt. Spieleerfolge allen mitteilen ist heute eine selbstverständlich implementierte Funktion.
Zum Ende des ersten Teils meiner Gedankensammlung zur Medienabhängigkeit möchte ich noch den zweiten Bereich betrachten: Die Abhängigkeit von sozialen Medien und Netzwerken. Hierunter fallen alle großen und kleinen Seiten und Apps. Bekannte Vertreter sind YouTube, Twitter, Facebook, Instagram und Snapchat. Selbst WhatsApp kann man zu den Netzwerken hinzuzählen. Was sind nun aber die Funktionen der Apps, die einen Einfluss auf unsere Psyche nehmen und so eine dauerhafte und pathologische Beschäftigung mit ihnen fördern können?
Schauen wir nochmal auf die bisher genannten Faktoren, treffen auch bei den Apps sowohl die Regulierung des Selbstwerts über eine alternative Selbstdarstellung der eigenen Person als auch die alternative Gestaltung von sozialen Beziehungen im Hinblick auf Verbindlichkeit und Nähe zu. Auf Bildern und über Videos oder sei es rein über dreizeilige Textnachrichten können wir Anteile unserer Persönlichkeit zeigen, die wir sonst eher versteckt halten, aus Angst um die Reaktionen. Gerade diese Reaktionen werden über die Plattformen oftmals reduziert oder zumindest stark gesteuert und strukturiert. So werden nur Daumen hoch oder runter als Rückmeldung für den Darsteller gegeben oder in seltenen Fällen die privatesten Einblicke durch kleine Kommentare beantwortet. Wir geben etwas in die Welt, eine Rückmeldung dazu wird es nicht immer geben. Vermeintliche Schwächen werden auch hier über den Online-Faktor ausgeglichen.
Socialmedia bietet aber gerade für die Beziehungsgestaltung einen besonderen Vorteil: Die leichteste Überwindung der Einsamkeit. Dies geschieht meist über das Sammeln von Klicks, Likes und Followern. Mit einer Vielzahl an Abonnenten lässt sich die eigene Art viel leichter feiern und das Gefühl der Einsamkeit im realen Leben überwinden. Der User bekommt also dauerhaft das Gefühl, in Kontakt mit anderen Menschen zu sein, die sich interessieren und ihn bedingungslos mögen für alles, was er postet. Kritische Stimmen und eventuelle negative Anteile der Person werden ausgeblendet.
Als Experte für die innerseelischen Prozesse lohnt sich für mich auch der Blick auf die Ängste des Gegenübers. Nicht selten finden sich neben einer realen Einsamkeit, in der der Betroffene nur wenige oder gar keine sozialen Kontakte außerhalb des beruflichen Kontextes führt, auch große Ängste vor Nähe und Beziehung. Wie oben bereits beschrieben, bietet die Online-Welt mit ihren vielen unverbindlichen Angeboten und Möglichkeiten, die leichteste Form, eigene Wünsche und Bedürfnisse nach Zusammensein zu überwinden. Die Vorstellung im virtuellen Kontakt mit anderen zu sein überwiegt in seinen Vorteilen scheinbar einer echten und realen Beziehung. Die Eigenschaften des Selbst und des Gegenübers können nahezu automatisiert übergangen, die Auseinandersetzung mit dem Anderen und seinen womöglich für einen schwierigen Eigenheiten und dadurch ggfs. Konflikten umgangen werden. Ein Potpourri an Gefühlen, die eine echte zwischenmenschliche Beziehung ausmachen, entfällt zu Gunsten der Angstreduktion.
Als Risikofaktoren für einen solch missbräuchlichen Gebrauch der sozialen Medien lassen sich die frühen Familienkonstellationen, die Erfahrungen von Ausgrenzungserfahrungen in schulischen oder beruflichen Kontexten sowie die individuellen Charakterzüge zusammenfassen. Für die jüngere Generation zählt der gesellschaftliche Druck auch als besonderer Risikofaktor. Oft posten schon sehr junge Menschen in aller Offenheit Bilder von sich in erotischen Posen, ohne sich der Tragweite des Bildes (es wird munter geteilt und verbreitet) bewusst zu sein. Natürlich sind das allgemeine Faktoren, die auch in Artikeln zur Depression oder bei Angststörungen vermutet werden können. Dennoch sollte man bei den Betroffenen mit Medienabhängigkeit diese Faktoren besonders im Blick haben.
Den ersten Teil der Übersichtsarbeit zum Thema Medienabhängigkeit möchte ich mit dem Ausblick auf den zweiten Teil, gerade auch deswegen, da hier nicht alle Themen angesprochen werden konnten, schließen. Im nächsten Teil möchte ich mit Ihnen gemeinsam den dritten Bereich, die Cybersex-Sucht und ihre Bestimmungsfaktoren genauer anschauen. Weiterhin soll dann der Fokus auf den Einzelnen, das Erleben des Betroffenen gehen. Abschließen möchte ich mit geeigneten Angeboten der spezifischen Diagnostik und Behandlung mit dem Fokus der Medienabhängigkeit, wohlwissend, dass andere Diagnosen derzeit noch im Vordergrund für eine fachlich qualifizierte Therapie stehen müssen.
Es würde ich freuen, wenn Sie mein Kontaktformular nutzen würden, um mir Ihre Gedanken und Eindrücke zu diesem Text mitzuteilen. Ich freue mich, von Ihnen zu lesen! Vielleicht ergibt sich hier auch eine umfangreiche Diskussion um das Thema Mediennutzung und Abhängigkeiten, die einen dritten Teil der Übersichtsarbeit begründet.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Ausgewählte wissenschaftliche Publikationen, spezifische Literatur oder bestimmte therapeutische Themen möchte ich gerne mit Ihnen teilen. Dazu möchte ich auf dieser Seite Themen vorstellen, die für Sie vielleicht von Interesse sein könnten. In überschaubaren Artikeln werde ich über Sichtweisen der Psychotherapie hinsichtlich der Hypothesen über die Entstehung und aufrechterhaltenden Faktoren von Erkrankungen, psychosozialen Zusammenhängen und Perspektiven sowie über verschiedenartige Behandlungsansätze und Möglichkeiten informieren.
Sollte der jeweils aktuelle Artikel nicht Ihr Interesse treffen, können Sie im Archiv auf frühere Themen zurückgreifen.
Medienabhängigkeit
Medienabhängigkeit ist DAS neue Schlagwort in der Psychotherapie. In den meisten Fällen ist damit die Nutzung des Internets gemeint, egal ob über den PC, dem Handy oder Tablets oder anderen Geräten, die unser Leben heute organisieren. Dabei wird heiß diskutiert, ob es sich bei unser aller Verhaltensweisen um ein süchtiges und damit pathologisches Verhalten handelt oder es vielleicht nur eine moderne Erscheinung unserer Zeit darstellt. Jeder kennt das ja: wir schauen am Tag ca. 200-mal auf unser Handy, prüfen Mails, Chatten, Kaufen und Verkaufen übers Internet, schauen Serien, Spielen, Videotelefonieren, teilen unser Essen, unsere neuen Kleidungsstücke, unsere innigsten Momente und unsere Gefühle über Bilder mit der ganzen Welt.Wann spricht man also von Sucht und wo liegen die Grenzen für einen pathologischen Gebrauch unserer heutigen medialen Möglichkeiten? Wer ist am ehesten gefährdet, was sind Risikofaktoren abhängig zu werden und was kann man tun, wenn man das Gefühl hat, die Medien über ein „normales“ Maß zu gebrauchen? Fragen, die ich in diesem Kurzartikel zu beantworten versuche. Da das Thema jedoch recht umfangreich ist, möchte ich hier zunächst nur die allgemeinen Aspekte erläutern. In einem zweiten Artikel möchte ich dann die persönlichen Aspekte beschreiben und erläutern (voraussichtlich Ende 2018). Im Einzelfall empfehle ich die persönliche Vorstellung bei einem Psychotherapeuten oder Arzt mit entsprechendem Schwerpunkt um eine diagnostische Abklärung vom Fachmann durchführen zu lassen.
Zunächst soll uns die Unterscheidung zwischen dem übermäßigen oder missbräuchlichen Konsum und somit einer „allgemeinen“ Abhängigkeit und der „spezifischen“ Abhängigkeit im Kontext Medien interessieren. Da wir das moderne Leben überwiegend online organisieren und unsere wichtigsten Lebensbereiche, wie Kommunikation, die Interaktion mit anderen und unser soziales Leben sowie Berufs- und Liebesleben im Internet suchen, finden, bewerten und veröffentlichen, ist es nicht verwunderlich, dass wir uns alle tagtäglich mehrere Stunden im Internet aufhalten und unseren Kopf damit beschäftigen. Erst jedoch, wenn noch körperliche Symptome, wie Schlafstörungen, Flüssigkeits- und Bewegungsmangel aber auch eingeschränkte Leistungsfähigkeit und andauernde gedankliche Beschäftigung mit dem Internet dazu kommen, lässt sich mit großer Sicherheit von einem Missbrauch der Medien oder einer Abhängigkeit sprechen. In einigen Fällen zeigen sich auch die Verhaltenssüchte, wie bspw. Glücksspielsucht, Shoppingsucht oder Workaholism in einer Online-Form wieder. Und auch wenn diese Bereiche recht spezifisch wirken, werden sie aktuell noch näher an die stoffgebunden Süchte und Abhängigkeiten kategorisiert, als man die speziellen Abhängigkeitsformen von Medien und Online-Welten einordnet.
In der Literatur spricht man von spezifischer Medienabhängigkeit, wenn es speziell um die Online-Spielesucht, die Abhängigkeit von sozialen Netzwerken oder Cybersexsucht geht. Aktuell richtet sich das wissenschaftliche sowie das therapeutische Interesse besonders diesen drei Bereichen, da in vielen Praxen Menschen auftauchen, die Probleme aus einer der drei Kategorien beschreiben. Die Diagnostiker und Therapeuten finden in den meisten Fällen auch komorbide Störungen, wie Depression oder Angststörungen. Gemeinsam allen Beschreibungen ist, dass sich die Wünsche, Bedürfnisse und Ziele eines Menschen scheinbar online besser umsetzen lassen, als im sogenannten Reallife, also der Wirklichkeit. Zumindest scheint es den Betroffenen so und deshalb bleiben sie vermutlich in ihrem Verhalten verhaftet, können sich nicht lösen und vernachlässigen zunehmend Freundschaften und Familie, gehen nicht mehr zur Arbeit und leiden unter den zunehmenden körperlichen Folgeerscheinungen. Es lohnt sich also, sich diese drei spezifischen Medienabhängigkeitsformen einmal genauer anzusehen.
Bevor wir dort näher einsteigen, schauen wir uns jedoch noch ein paar allgemeine Rahmenbedingungen an, die man als abhängigkeitsfördernde Faktoren oft bei Betroffen finden kann.
Hardware, die nicht online ist, kann nicht süchtig machen. In diesem einfachen Satz stecken schon viele Wahrheiten, die es dem Medienabhängigen heute schwer machen, vom „Stoff“ wegzukommen. Unsere allgegenwärtige online-Vernetzung hat ein unvorstellbares Ausmaß angenommen und es ist kaum ein Ort oder Raum zu finden, in dem es nicht die Möglichkeit gibt, sich ins Netz einzuloggen. Dazu kommt noch, dass nahezu all unsere Geräte Möglichkeiten bieten, sich online mit der Welt zu verbinden. Damit haben wir Zugang zu einem unerschöpflichen digitalen Raum für Austausch und Abenteuer. Die virtuelle Verknüpfung mit anderen Menschen halten wir so bspw. bei öffentlichen Ereignissen für ein besonders intensives Erleben, allerdings ohne wirklich aus dem Haus zu müssen. Die Vorstellung, zu wissen, wie es Anderen an anderen Orten zur gleichen Zeit geht, stärkt die Intensität des Erlebens nochmals. Eine Fußball-WM erleben wir dank der Medien und der angestoßenen Interaktion als besonders verbindend. Es fühlt sich an, als wären wir mit Vorort.
Widmen wir uns aber nun den Online-Spielen. Wie funktioniert die Anziehung der virtuellen Abenteuerwelt auf uns? Welche Faktoren fördern neben der gesellschaftlichen Omnipräsenz die Abhängigkeit?
Oftmals wünschen wir uns nichts mehr im Leben, als aktiv unseren Alltag zu gestalten, Einfluss zu nehmen und Bestimmen zu können, was die Menschen um uns herum machen sollen. Im Computerspiel wird dieser Faktor am deutlichsten umgesetzt: Wir gestalten die Handlungen aktiv mit und schaffen so die Grundlage für eine besonders enge Identifikation mit dem Spiel und seinen Charakteren. In fast allen Spielen lässt sich der eigene Spielecharakter bis ins Detail optisch gestalten. Der Spieler kann also in eine völlig neue und selbstkreierte Gestalt schlüpfen, kann sich seine Eigenschaften und das Aussehen bestimmen und so eigene, wirkliche vermeintliche Schwächen ausbügeln. Die Möglichkeit, jemand anders zu sein, besser zu sein, als man sich selbst sieht, die Welt aktiv zu gestalten und damit eine recht enge Identifikation mit der virtuellen Welt zu schaffen, ist eine wesentliche Funktion, die den Abhängigkeitsfaktor ausmachen kann.
Der nächste Schritt ist nun, mit dem Identifikationsgefühl online auf andere Menschen und ihre erschaffenen Rollen zu treffen. Während wir früher unsere Beziehungen mit intensiven Gesprächen über Stunden am Telefon oder im direkten Kontakt gestalteten, erscheint dieser neue digitale Austausch mehr Vorteile zu versprechen. Wir wissen, der andere spielt auch nur eine Rolle und so schleicht sich eine grundlegende Unverbindlichkeit in die Online-Kontakte ein. Über die erschaffene Spielfigur können wir viel mehr Anteile unseres Selbst ausleben, die wir in verbindlicheren „echten“ Kontakten aus oft guten Gründen reduzieren oder so gar nicht zeigen würden. Der interpersonelle Faktor und den darin liegenden Möglichkeiten des Austausches unter dem Deckmantel des Spiels hat ebenfalls einen hohen Abhängigkeitswert.
Und dann tauchen wir in die Spielewelt ein. Diese bieten oft abenteuerliche, archaische und von der Realität weit entfernte bunte, irrationale und verrückte Welten an, in denen alles möglich sein kann. Dort werden wir über Aufgaben und Quests schnell zum Helden, zum Retter, oftmals als Gottheit gefeiert. Das dies eventuell Selbstwertprobleme desjenigen vor dem PC kompensieren kann, scheint auf der Hand zu liegen und sollte bei der ernsthaften Abwägung, ob es sich um Suchtverhalten handelt fachlich nicht unterschätzt und als Küchenpsychologie abgetan werden.
Quest gelöst, Belohnung eingestrichen und als Held gefeiert worden. Die Neurobiologen erforschen schon seit langer Zeit die Macht unseres Belohnungssystems im Gehirn. Die Spielewelten bieten den Forschern neue Spielplätze, um ihre Theorien zu überprüfen und weiter zu entwickeln. Immerhin arbeitet fast jedes Spiel mit Belohnungen für die verschiedensten Aktionen des Spielers. Dabei wird nicht nur direkt belohnt, bspw. bekommt man Gold für das Lösen einer Aufgabe, auch die Spielzeit und Anwesenheit des Spielers oder sogar der Austausch mit anderen wird belohnt. So fördern diese Systeme die Ausdehnung der Spielzeit, des Online-Seins über das biologisch verankerte Belohnungsmuster in unseren Gehirnen.
Kommt man als Einzelkämpfer nun an seine Grenzen, warten Gilden, Gruppen, Clans und andere Strukturen auf den Spieler, in denen er sich aktiv mit anderen austauschen und gemeinsam in der Spielewelt unterwegs sein kann. Auch dies bietet genügend Abhängigkeitspotenzial. Die technischen Möglichkeiten der Kommunikation sind vielfältig und kinderleicht. Im Nu finden soziale Prozesse statt, die der Spieler völlig realitätsfern selbst gestalten kann. Die selbstgewählte Rolle und Position innerhalb der Gruppe lässt sich leichter als im realen Leben einnehmen, so dass die Person in ihren selbstbestimmten Funktionen aufgehen kann. So brauchen die meisten Spielegruppen sog. Heiler, Damage Dealer, Assassine etc., mit deren Zusammenspiel erst die Gruppe funktionieren kann und die anstehenden Aufgaben bewältigt werden können. Vergleichsweise Strukturen in der familiären oder beruflichen Biografie können dem Therapeuten oft helfen, die Anziehung für den Einzelnen besser zu verstehen. Reale intrapsychische Konflikte können in der Spielewelt gelöst und kompensiert werden, die ggfs. eine Psychotherapie rechtfertigen würden. Mit den Mitspielergruppen kommen jedoch auch Verbindlichkeiten hinzu. Man wird nicht nur wichtig für die Gruppe, was den Selbstwert erhöht, man muss auch zeitlich immer mehr Verfügbarkeit bieten, um der Gruppe weiter angehören zu können. Die pseudo-Verbindlichkeit wird zu einem lebensbestimmenden Faktor, der Druck, mit der Gruppe mithalten zu wollen steigt und treibt viele dauerhaft vor den Rechner. Wer kann sich schon dem Gruppenzwang erfolgreich widersetzen?
Anhand der Online-Spiele (kaum ein Spiel kommt heute ohne Online-Funktion aus, wenn es am Markt mithalten möchte) lässt sich über die Medienwirkungsforschung die wichtigsten Faktoren zum Ausbilden einer Medienabhängigkeit abbilden. Die Spieleindustrie bedient sich dieser Mechanismen recht bewusst. So braucht man heute die oft zitierte Unterscheidung der Genres Strategie, Shooter, Sport- oder Casualspiele nicht mehr wirklich treffen. Das Belohnungssystem, das soziale Mitteilen seiner Erfolge oder das Zusammenschließen findet sich in fast allen Games wieder und ist auch unabhängig davon, ob am PC, der Konsole oder dem Handy gespielt wird ein oft genutzter Bestandteil.
Hierin lässt sich auch ein vllt. gefährlicher Trend ablesen, in dem die Spielewelt mit dem Bereich der Socialmedia zusammenrückt. Spieleerfolge allen mitteilen ist heute eine selbstverständlich implementierte Funktion.
Zum Ende des ersten Teils meiner Gedankensammlung zur Medienabhängigkeit möchte ich noch den zweiten Bereich betrachten: Die Abhängigkeit von sozialen Medien und Netzwerken. Hierunter fallen alle großen und kleinen Seiten und Apps. Bekannte Vertreter sind YouTube, Twitter, Facebook, Instagram und Snapchat. Selbst WhatsApp kann man zu den Netzwerken hinzuzählen. Was sind nun aber die Funktionen der Apps, die einen Einfluss auf unsere Psyche nehmen und so eine dauerhafte und pathologische Beschäftigung mit ihnen fördern können?
Schauen wir nochmal auf die bisher genannten Faktoren, treffen auch bei den Apps sowohl die Regulierung des Selbstwerts über eine alternative Selbstdarstellung der eigenen Person als auch die alternative Gestaltung von sozialen Beziehungen im Hinblick auf Verbindlichkeit und Nähe zu. Auf Bildern und über Videos oder sei es rein über dreizeilige Textnachrichten können wir Anteile unserer Persönlichkeit zeigen, die wir sonst eher versteckt halten, aus Angst um die Reaktionen. Gerade diese Reaktionen werden über die Plattformen oftmals reduziert oder zumindest stark gesteuert und strukturiert. So werden nur Daumen hoch oder runter als Rückmeldung für den Darsteller gegeben oder in seltenen Fällen die privatesten Einblicke durch kleine Kommentare beantwortet. Wir geben etwas in die Welt, eine Rückmeldung dazu wird es nicht immer geben. Vermeintliche Schwächen werden auch hier über den Online-Faktor ausgeglichen.
Socialmedia bietet aber gerade für die Beziehungsgestaltung einen besonderen Vorteil: Die leichteste Überwindung der Einsamkeit. Dies geschieht meist über das Sammeln von Klicks, Likes und Followern. Mit einer Vielzahl an Abonnenten lässt sich die eigene Art viel leichter feiern und das Gefühl der Einsamkeit im realen Leben überwinden. Der User bekommt also dauerhaft das Gefühl, in Kontakt mit anderen Menschen zu sein, die sich interessieren und ihn bedingungslos mögen für alles, was er postet. Kritische Stimmen und eventuelle negative Anteile der Person werden ausgeblendet.
Als Experte für die innerseelischen Prozesse lohnt sich für mich auch der Blick auf die Ängste des Gegenübers. Nicht selten finden sich neben einer realen Einsamkeit, in der der Betroffene nur wenige oder gar keine sozialen Kontakte außerhalb des beruflichen Kontextes führt, auch große Ängste vor Nähe und Beziehung. Wie oben bereits beschrieben, bietet die Online-Welt mit ihren vielen unverbindlichen Angeboten und Möglichkeiten, die leichteste Form, eigene Wünsche und Bedürfnisse nach Zusammensein zu überwinden. Die Vorstellung im virtuellen Kontakt mit anderen zu sein überwiegt in seinen Vorteilen scheinbar einer echten und realen Beziehung. Die Eigenschaften des Selbst und des Gegenübers können nahezu automatisiert übergangen, die Auseinandersetzung mit dem Anderen und seinen womöglich für einen schwierigen Eigenheiten und dadurch ggfs. Konflikten umgangen werden. Ein Potpourri an Gefühlen, die eine echte zwischenmenschliche Beziehung ausmachen, entfällt zu Gunsten der Angstreduktion.
Als Risikofaktoren für einen solch missbräuchlichen Gebrauch der sozialen Medien lassen sich die frühen Familienkonstellationen, die Erfahrungen von Ausgrenzungserfahrungen in schulischen oder beruflichen Kontexten sowie die individuellen Charakterzüge zusammenfassen. Für die jüngere Generation zählt der gesellschaftliche Druck auch als besonderer Risikofaktor. Oft posten schon sehr junge Menschen in aller Offenheit Bilder von sich in erotischen Posen, ohne sich der Tragweite des Bildes (es wird munter geteilt und verbreitet) bewusst zu sein. Natürlich sind das allgemeine Faktoren, die auch in Artikeln zur Depression oder bei Angststörungen vermutet werden können. Dennoch sollte man bei den Betroffenen mit Medienabhängigkeit diese Faktoren besonders im Blick haben.
Den ersten Teil der Übersichtsarbeit zum Thema Medienabhängigkeit möchte ich mit dem Ausblick auf den zweiten Teil, gerade auch deswegen, da hier nicht alle Themen angesprochen werden konnten, schließen. Im nächsten Teil möchte ich mit Ihnen gemeinsam den dritten Bereich, die Cybersex-Sucht und ihre Bestimmungsfaktoren genauer anschauen. Weiterhin soll dann der Fokus auf den Einzelnen, das Erleben des Betroffenen gehen. Abschließen möchte ich mit geeigneten Angeboten der spezifischen Diagnostik und Behandlung mit dem Fokus der Medienabhängigkeit, wohlwissend, dass andere Diagnosen derzeit noch im Vordergrund für eine fachlich qualifizierte Therapie stehen müssen.
Es würde ich freuen, wenn Sie mein Kontaktformular nutzen würden, um mir Ihre Gedanken und Eindrücke zu diesem Text mitzuteilen. Ich freue mich, von Ihnen zu lesen! Vielleicht ergibt sich hier auch eine umfangreiche Diskussion um das Thema Mediennutzung und Abhängigkeiten, die einen dritten Teil der Übersichtsarbeit begründet.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!